BioGeoChemistry of Tidal Flats

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Exoten im Schlickboden

Physiker, Chemiker, Biologen und Mathematiker untersuchen das Watt / Ökosystem weitgehend intakt

Von Normann Berg


Beäugt von Touristen und Fischern gingen vergangene Woche rund 40 Forscher dem Wattboden an der ostfriesischen Nordseeküste auf den Grund.

Während die Wissenschaftler in dem empfindlichen Ökosystem buddeln und messen, fahren die Passagierfähren und Fischerboote zwischen Neuharlingersiel und der Insel Spiekeroog an ihnen vorbei. Die Mitglieder der Forschergruppe BioGeoChemie des Watts lassen sich davon nicht ablenken. Endlich haben sie die Chance, ihre seit drei Jahren oftmals in der Theorie gesammelten Daten praktisch abzugleichen.

"Wir betreten hier zum Teil unerforschtes Gebiet", sagt Jürgen Rullkötter vom Institut für Chemie und Biologie des Meeres an der Universität Oldenburg, der das Projekt leitet. Trotz aller naturwissenschaftlichen Unbekannten wagt sich der Biologe in einer ersten Einschätzung weit vor: "Nach meinem Eindruck müssen keine großen Maßnahmen ergriffen werden, um dieses Ökosystem zu schützen", sagt er. Voraussetzung sei jedoch, dass die Abwässer der menschlichen Zivilisation weiterhin ordnungsgemäß geklärt, der Fischfang reguliert wird und Vogelschutzgebiete in ausreichender Zahl ausgewiesen werden.

"Teile des Watts konnten wir entschlüsseln. Mehr ging noch nicht", sagt der Wissenschaftler. "Zudem haben wir festgestellt, dass das System im Wesentlichen naturgesteuert ist und nicht vom Menschen beeinflusst wird", betont Rullkötter.

Rund ein halbes Prozent lebende Biomasse

Vor drei Jahren machte sich die aus insgesamt 70 Physikern, Chemikern, Biologen und Mathematikern bestehende Forschergruppe an die Arbeit. Ziel ist es, die Lebensabläufe im Watt zu erkennen und zu verstehen. Mit drei Millionen Euro vom Land Niedersachsen und der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgestattet, ließ das Team zunächst ein 40 Meter langes Rohr in den Meeresboden vor Spiekeroog rammen und darauf eine Forschungsstation errichten. Unter Wasser werden die Sedimente analysiert. Auch Salz- und Sauerstoffgehalt sowie Wassergeschwindigkeit und Temperatur des Wattenmeers werden gemessen.

Im Mittelpunkt des Forschungsprojekts stehen die Kleinstlebewesen des Watts. Mittlerweile wissen die Forscher, dass rund 0,5 Prozent des Schlickbodens aus lebender Biomasse bestehen. Vieles ist aber immer noch unbekannt, beispielsweise die Nahrungsquelle. Der benötigte Kohlenstoff stammt entweder aus Torfablagerungen in den Prielen oder dem Porenwasser der Sedimente. "Manche Bakterien im tiefer gelegenen Watt sind für uns so exotisch wie ihre Verwandten in den heißen Quellen des Yellowstone-Nationalparks", sagt Rullkötter.

Im Wesentlichen naturgesteuert

An der dreitägigen Tag-und-Nacht-Aktion in der vergangenen Woche zwischen Neuharlingersiel und Spiekeroog nahmen nun fünf Forschungseinrichtungen aus Oldenburg, Wilhelmshaven, Bremen und Geesthacht mit sechs Schiffen und einem Flugzeug teil. Die konzertierte Messkampagne ist bisher einmalig an der deutschen Küste. Die Geräte wurden geeicht und die bisherigen Daten abgeglichen, um sie dann online in das Oldenburger Universitätszentrum zu senden, wo die Mathematiker ein Ökosystemmodell entwickeln.

Das Forschungsprojekt ist auf insgesamt sechs Jahre ausgelegt. Im November wird in Hannover entschieden, ob auch die zweite "Halbzeit" mit weiteren 2,5 Millionen Euro finanziert wird. Rullkötter ist guter Dinge, dass das Vorhaben fortgesetzt werden kann. "Teile des Watts konnten wir entschlüsseln. Mehr ging noch nicht", sagt der Wissenschaftler. "Zudem haben wir festgestellt, dass das System im Wesentlichen naturgesteuert ist und nicht vom Menschen beeinflusst wird", betont Rullkötter.

Als Untermauerung dieser These führt er den Bau der Gasleitung Europipe an. Nur ein Jahr nach den Arbeiten habe sich das Wattenmeer bereits wieder regeneriert. (ddp)

 

Sächsische Zeitung
Montag, 4. August 2003